An einem Kasseler Autobahnzubringer wurde in Solidarität mit dem Streik von Truckern in Südhessen ein Transparent entrollt. Seit Mitte Juli streiken rund 150 LKW-Fahrer einer polnischen Spedition, der Mazur-Gruppe, auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen (Kreis Darmstadt-Dieburg). Ein Artikel über die Prekarität in den Lieferketten des Kapitals und Solidarität am Rand der A5.
Die vielen Lastwägen auf deutschen Autobahnen sind allgegenwärtig. Die meist aus Osteuropa und Zentralasien stammenden Fahrer, die für deutsche Firmen Güter quer durch Europa schaffen sowie ihre oft skandalösen Arbeitsbedingungen werden von der deutschen Öffentlichkeit gerne übersehen. Flüchtige Begegnungen auf Autobahnraststätten ändern hieran wenig.
Doch seit mehreren Wochen rüttelt der Arbeitskampf dutzender Trucker an dieser Unsichtbarkeit: Seit Juli stehen etliche Lastwagen der polnischen Mazur-Gruppe an der Autobahnraststätte Gräfenhausen still und dienen den Fahrern als Streikposten und Wohnstätte. Der Streik von Mazurs LKW-Fahrern macht die Öffentlichkeit auf die Trucker und ihre Probleme aufmerksam. Die Fahrer haben seit bis zu fünf Monaten von ihrem Arbeitgeber keinen Lohn erhalten. Die Spedition schuldet ihnen gut eine halbe Million Euro.
Gräfenhausen dient zum zweiten Mal als Streikstätte
Es ist nicht der erste Arbeitskampf der Mazur-Fahrer: Bereits im März waren 60 LKW-Fahrer derselben Spedition auf der Raststätte Gräfenhausen in den Streik getreten und hatten nach sechs Wochen ihren Lohn erfolgreich erkämpft. Damals schuldete Mazur ihnen Gehälter in Höhe von rund 300.000 Euro. Die Spedition fährt über ein verzweigtes Netz von Subunternehmen unter anderem für Ikea, Siemens, Volkswagen, Audi, Porsche und Red Bull sowie die Logistikunternehmen DHL und Intercargo. Diese Firmenkunden halten an ihrer Zusammenarbeit mit Mazur fest. Und dass, obwohl die Spedition im April einen vermummten Schlägertrupp in gepanzerten Fahrzeugen an die Raststätte geschickt hatte, um den Streik gewaltvoll zu brechen.
Erste Erfolge: Ein Unternehmen zahlt
Der erfolgreiche Streik im Frühjahr hat das Unternehmen offensichtlich nicht dazu gebracht, fortan pünktlich Löhne zu zahlen, aber die Organisierung der Trucker scheint gestärkt worden zu sein. Mittlerweile harren in Gräfenhausen rund 150 Männer aus. Nach über einem Monat Streik hat Ende August eine kleinere Firma aus der Lieferkette Mazurs den Lohn direkt an die Fahrer ausgezahlt, gut 20.000 Euro. Die Mazur-Gruppe hat indes noch keine Zahlungen angewiesen und stattdessen Anzeige erstattet, unter anderem wegen Erpressung.
Solidarität aus der Region
Die Streikenden erhalten Unterstützung vom Beratungsnetzwerk Faire Mobilität des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Aus der Region kommen zudem seit Wochen Menschen und bringen in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft und Kirchen den Streikenden Essen, waschen die Kleidung der Fahrer und organisieren Fahrten zu einer nahegelegenen Turnhalle, wo es Duschen gibt.
Die schwedische Gewerkschaft Solidariska Byggare hat eine internationale Streikkasse eingerichtet, um migrantische Arbeiter*innen in Europa zu unterstützen, aus der bereits Geld an die Fahrer in Gräfenhausen ging. Auch die Hochschulgewerkschaft unter_bau und die Freie Arbeiter*innenunion (FAU) aus Frankfurt sammelten Spenden.
Lieferketten: Ein Geschäftsmodell, das auf Ausbeutung beruht
Der Streik in Gräfenhausen wirft Licht auf eine Branche, in der Ausbeutung an der Tagesordnung ist. Die Arbeiter bei Mazur sind scheinselbstständig und die Verträge, die sie unterschreiben müssen, sind oft in ihnen nicht verständlichen Sprachen oder als Blankoverträge abgefasst. Die Fahrer kommen fast alle aus Georgien, einige auch aus Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan.
Ihre Aufenthaltstitel hängen am Arbeitsverhältnis, was eine doppelte Abhängigkeit vom Arbeitgeber bedeutet. Dabei müssen LKW-Fahrer*innen, die in Deutschland tätig sind, eigentlich nach deutschem Mindestlohn bezahlt werden, unabhängig vom Sitz ihres Arbeitgebers. Dies wird in der Realität umgangen, viele Fahrer verdienen nur zwischen 75 und 89 Euro am Tag, Spesen inklusive.
„Solidarität mit den streikenden LKW-Fahrern – Solidarność ze strajkującymi kierowcami ciężarówek w Gräfenhausen!“
Transparent an der Autobahnauffahrt Kassel-Auestadion
Die Trucker auf der südhessischen Raststätte streiken trotz Einschüchterungsversuchen der Spedition seit gut sechs Wochen. Um auch aus Kassel Zuspruch mit den Streikenden auszudrücken und ihrem Anliegen weiter Sichtbarkeit zu verschaffen, wurde an einer Brücke über einem Autobahnzubringer ein zweisprachiges Transparent aufgehangen.