Aufstieg der Shit-Jobs


Krankenhauspersonal, Logistikbranche und Angestellte im Einzelhandel: Die aktuelle Krise zeigt auch in Kassel, wessen Arbeit essentiell für unsere Gesellschaft ist. Ein Gespräch mit Luisa, die in einem Supermarkt arbeitet.

Von Arthur Becker

Vor ein paar Jahren prägte der anarchistische Theoretiker David Graeber die Bezeichnung Bullshit-Jobs. Das sind Jobs, die zwar meist gut bezahlt werden, aber eigentlich nutzlos sind, weil sie der Gesellschaft wenig oder nichts bringen. Das ist eine Armee von Menschen, deren hauptsächliche Beschäftigung es ist, Powerpoint-Präsentationen, Dokumente und Serviceabläufe über Probleme zu erstellen, die es ohne ihren ausgedachten Geschäftszweig gar nicht gäbe.

Das exakte Gegenteil davon sind die Shit-Jobs. Diese sind zwar nützlich und sinnvoll, werden aber für gewöhnlich mies bezahlt und erfahren wenig Wertschätzung. Oder in Graebers Worten: „Wenn man einen Scheißjob hat, stehen die Chancen nicht schlecht, dass man damit immer noch etwas Gutes in der Welt bewirkt.“

Die aktuelle Krise zeigt nun besonders deutlich, wessen Arbeit essentiell für unsere Gesellschaft ist. Plötzlich ist vielerorts von „systemrelevanten Berufen“ die Rede, und gemeint sind damit nicht Vorstandsvorsitzende, Investmentbanker oder Top-Manager, sondern vor allem Pflegekräfte oder Angestellte im Einzelhandel sowie der Logistikbranche. Diese Jobs lassen sich allerdings leicht in die zweite Kategorie einsortieren: Sie sind zwar nützlich und wichtig, doch die Arbeitsbedingungen sind oft schlecht und die Bezahlung noch schlechter. Diese Ungerechtigkeit wird nun durch die Corona-Krise deutlicher denn je.

Mit irritierender Überraschung erkennen plötzlich selbst große Medien und konservative Politiker: Die Menschen, die uns pflegen, wenn wir krank sind, die uns Pakete nach Hause bringen, im Supermarkt die Regale einräumen oder tagelang Waren durch ganz Europa fahren, verdienen Anerkennung für ihre Arbeit.

Bei den Angestellten im Supermarkt kommt davon bisher wenig an. Viele Kunden seien gestresst und von den Zugangsbeschränkungen der Supermärkte genervt, erzählt Luisa*, die in der Filiale einer großen Supermarktkette in Kassel arbeitet.

„Zwar sagt immer wieder mal jemand so etwas wie ‚Bleiben Sie gesund!‘ oder ‚Sie sind total wichtig!‘ aber es gibt auch viele, die uns anschnauzen, weil sie selbst im Stress sind. Insgesamt merken aber langsam mehr Menschen, dass man auch als Kassierkraft Anerkennung verdient.“

Von Anerkennung allein kann jedoch niemand Miete oder Rechnungen bezahlen. Zwar zeugt es von einem Umdenken, dass viele Menschen durch verabredetes, gemeinsamen Klatschen oder kleine Gesten ihre Wertschätzung ausdrücken. Kaufen können sich die Beschäftigten am unteren Ende der Nahrungskette davon allerdings im wahrsten Sinne des Wortes nichts. Solange sich an der schlechten Bezahlung nichts ändert, wird sich auch das Image der Shit-Jobs nicht dauerhaft verbessern.

Doch ein höheres Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen müssen vor allem von den Beschäftigten selbst eingefordert werden. Dabei könnte der aktuelle Diskurs und die breite Debatte über fehlende Anerkennung in bestimmten Berufen helfen und den Beschäftigten mehr Selbstbewusstsein geben. Bisher sei die Stimmung in ihrem Betrieb allerdings nicht besonders kämpferisch, meint Luisa. Trotzdem seien sie und ihre Kolleginnen durch die Ausnahmesituation enger zusammen gerückt.

„Wir unterhalten uns viel mehr, sind jetzt viel mehr füreinander da. Das fühlt sich schon solidarischer an als früher.“

Auch innerhalb des Betriebes gehe es vor allem um die Corona-Krise und deren Folgen, weil der Eindruck vorherrscht, dass nicht genug für die Sicherheit der Angestellten getan werde. Es gäbe zwar viele Sicherheitsvorkehrungen im Supermarkt, doch zielten die vor allem darauf ab, die Kunden zu schützen. Viele ihrer Kolleginnen seien der Meinung, dass dem hohen Ansteckungsrisiko, dem sie durch ihre Arbeit ausgeliefert sind, nicht genug entgegen gewirkt wird. Wer von den Angestellten beispielsweise einen Mundschutz tragen will, müsste den selbst mitbringen und Handschuhe gibt es nur für das Kassenpersonal. Gerade ältere Kolleginnen hätten Angst, sich anzustecken.

Während die Leitung anderer Supermarktketten Sonderzahlungen für ihre Angestellten plane, gab es für Luisa und ihre Kolleginnen von der Konzernführung bisher bloß es einen Blumenstrauß und ein Dankesschreiben vom Chef.

„Der Blumenstrauß war schon hübsch, aber hat im Einkauf vielleicht 3 Euro gekostet. Über eine Gehaltserhöhung hätten wir uns mehr gefreut.“


*Name geändert