Politisch motivierte Abschiebung


Muhiddins Familie floh vor 25 Jahren vor dem Krieg in der Türkei nach Deutschland. Seitdem lebt er in Nordhessen. Er ist verheiratet, Vater von fünf Kindern und trotzdem versucht das Regierungspräsidium Kassel seit Jahren, ihn abzuschieben. Bei näherer Betrachtung seines Falls wird schnell deutlich, dass die Abschiebung politische Gründe hat.

Jeder Behördengang ist derzeit eine Belastung für Muhiddin. Montagvormittag dieser Woche gegen 11 Uhr musste er zuletzt bei der Ausländerbehörde der Stadt Kassel vorstellig werden. Mit dabei ist immer die Angst, dass irgendwo auf den Gängen im Regierungspräsidium Polizist:innen bereits auf ihn warten, um die seit Jahren angedrohte Abschiebung durchzusetzen. An diesem Montag waren diesmal jedoch auch etwa 20 Unterstützer:innen mit zum Behördenterimn gekommen, um ihm zu zeigen, dass er nicht alleine ist und um die Abschiebepraxis der Stadt Kassel anzuprangern.

Angefangen hat alles vor über 25 Jahren: Muhiddins Familie stammt aus einem Dorf in der Nähe von Midyat, einer kleinen Stadt im mehrheitlich von Kurd:innen bewohnten Südosten der Türkei. Er sei etwa fünf oder sechs Jahre alt gewesen, als die Familie aus dem Dorf fliehen musste. Damals wurden zahllose Kurd:innen vom türkischen Staat ermordet und ganze Landstriche durch türkische Soldaten und Paramilitärs entvölkert. Aber auch in der Stadt sei die Familie nicht sicher gewesen. Deshalb hatten sich seine Eltern 1996 schließlich dazu entschieden, die Türkei zu verlassen. Muhiddin war damals 13 Jahre alt.

Trotz Krieg und Verfolgung in ihrer Heimat fanden sie jedoch in Deutschland kein politisches Asyl. Muhiddin hatte mehrfach Asylanträge gestellt, die immer wieder abgelehnt wurden. Trotzdem ist er schon lange in Kassel zu Hause, hat Deutsch gelernt, hat hier seine Freunde, Angehörige und mittlerweile eine eigene Familie. Er ist Vater von fünf Kindern, die allesamt in Deutschland geboren sind. Seine jüngste Tochter ist drei Jahre alt, die älteste fünfzehn. Alle seien gut in der Schule, freut er sich.

Eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekam er jedoch nie, trotz mehrerer Asylanträge und einer eingereichten Petition an den Hessischen Landtag mit der Bitte um Bleiberecht in Deutschland. Auch ein Antrag auf Familienzusammenführung, nachdem er seine Partnerin, eine deutsche Staatsbürgerin, geheiratet hatte, blieb erfolglos. Anfangs musste seine Aufenthaltsgenehmigung alle paar Jahre aktualisiert werden.

Weil diese zuletzt nur noch für einen oder wenige Monate gültig gewesen sei und dann erneut beantragt werden musste, habe er auch seine Arbeit als Glas- und Gebäudereiniger bei einer Firma in Kassel verloren. Schließlich wurde ihm die Arbeitserlaubnis entzogen. Das sei eine Katastrophe, seine Familie leide nun auch noch finanziell unter der ganzen Situation, sagt er. Auch psychisch ist die Situation für die Familie sehr belastend. Jeden Tag muss sie fürchten, auseinandergerissen zu werden.

Mehrmals wurde Muhiddin in den letzten Jahren von der Ausländerbehörde für sogenannte „Sicherheitsbefragungen“ einbestellt. Ob Polizist:innen dabei gewesen seien, könne er nicht mehr genau sagen, jedenfalls niemand in Uniform. Gefragt wurde unter anderem nach seiner Tätigkeit im Vorstand des “Zentrums für kurdische Kultur und Sprache e.V.” in Kassel und nach Demonstrationen, die er angemeldet habe.

Wahrheitsgemäß habe er alle Fragen beantwortet, erzählt Muhiddin, und das werde ihm seit Jahren zum Verhängnis. Ja, sagt er, er sei zwischen 2001 und 2005 im Vereinsvorstand gewesen. Dort habe er eine Gruppe für kurdischen Volkstanz, deutsche und kurdische Sprachkurse, Gitarrenunterricht, einen Computerkurs für ältere Menschen und eine Gesangsgruppe für Kinder mitorganisiert. Und auch Demonstrationen habe er angemeldet, um auf die politische Situation und den Krieg in Kurdistan aufmerksam zu machen. Einen Grund, das zu verheimlichen, habe er damals nicht gesehen. Verboten sei das alles schließlich nicht.

„Was wir hier im Kurdischen Verein an kultureller Arbeit machen, war in der Türkei verboten, davon konnten wir dort nicht einmal träumen. Wir sind damals im Krieg aufgewachsen, wir mussten aus unserem Land abhauen, aber wir wollen die Stimme der Kurden auch hier an andere Menschen weitergeben.“

Muhiddin Fidan

Was er von der PKK halte, hätten die Beamten außerdem von ihm wissen wollen. Gewalt lehne er zwar ab, habe er damals gesagt, aber sehe die PKK auch nicht als Terrororganisation. Eine Einschätzung, die übrigens auch die Schweiz oder der Kassationshof, das oberste Gericht in Belgien teilen. Die deutschen Behörden interpretieren diese Aussage hingegen als Bekenntnis zum Terrorismus. Und darin liegt der eigentliche Grund, warum Muhiddin nun die Abschiebung droht.

Der Verein, in dem Muhiddin für ein paar Jahre im Vorstand aktiv war, ist legal und alle seine kulturellen Aktivitäten sind legal, sonst wäre der Verein verboten. Die Demonstrationen, an denen er teilgenommen hat, waren legal und auch sonst werden ihm keine Straftaten vorgeworfen. Und trotzdem, argumentieren die deutschen Behörden, habe man es hier mit einem “Terroristen” zu tun.

Ein Vertreter der Roten Hilfe Kassel e.V. sieht in den behördlichen Vorgängen eindeutig den Versuch einer politisch motivierten Abschiebung:

„Selbst nach den fragwürdigen Maßstäben der Bundesrepublik ist Muhiddin hier ein aktives Mitglied der Gesellschaft geworden, und jetzt soll er aus seinem Umfeld, seiner Familie und Freundeskreis gerissen werden, bloß weil er diese oder jene politische Ansicht vertritt.“

Vertreter der Roten Hilfe Kassel

Der Freundeskreis von Muhiddin hat nun erneut eine Petition gestartet, um den Fall öffentlich zu machen und eine Aufenthaltserlaubnis zu erstreiten. Darin fordern sie die Landesregierung auf, den Fall neu aufzurollen und ihrem Freund „endlich eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.“ Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung haben schon über 1.300 Personen die Petition unterschrieben.