Am 4. November 2011 versuchte Beate Zschäpe möglichst viele Beweise zu vernichten, indem sie die konspirative Wohnung des NSU in Zwickau in Brand setze. Trotzdem fanden die Ermittler im Brandschutt zahlreiche Karten und Notizen aus denen hervorgeht, welche Orte durch den NSU ausgespäht wurden. Darunter befindet sich auch ein Stadtplan von Kassel.
Auf diesem Stadtplan sind nicht nur weitere potenzielle Anschlagsziele markiert, sondern auch handschriftliche Notizen gemacht worden. Die wiederrum geben erneut Anlass zur Vermutung, dass der NSU in Kassel durch die lokale Neonazi-Szene unterstützt wurde. Mal abgesehen von den Orten, die aus eindeutig rassistischen Motiven markiert wurden, weil sie als Orte oder Einrichtungen von Migrant*innen erkennbar sind, wirft eine Markierung in der Kasseler Mombachstraße Fragen auf. Dort, so vermerken die Ermittler es in den Akten, weist ein „auffällig großer Pfeil“ und die Ergänzung „Haus“ auf ein Gebäude gegenüber vom Hauptfriedhof der Stadt Kassel.
Diese Markierung verweist aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch nicht auf irgendein beliebiges Gebäude, sondern auf das ehemalige Kulturprojekt HAUS, das sich exakt dort befunden hat. Das allerdings war offenbar weder den auswärtigen Behörden noch der Kasseler Polizei aufgefallen. Laut NSU-Watch fehle in den Akten einzig zu dieser Markierung auf dem Stadtplan jeglicher Hinweis darauf, worum es sich bei dem ausgespähten Objekt tatsächlich gehandelt habe. Auch der Verein Weltsubkulturerbe, der seit 2016 die Kulturarbeit des HAUS fortführt, habe erst im Juni 2020 aus der Presse erfahren, dass ihr Projekt ein eventuelles Anschlagsziel des NSU gewesen ist. In einer Pressemitteilung dazu heißt es weiter:
„Niemand von den Nutzer*innen wurde als Zeugin oder Zeuge befragt, es erfolgte auch keinerlei Information an uns, dass wir in den Aufzeichnungen des NSU zusammen mit anderen potenziellen Anschlagszielen zu finden sind. Dies ist ein Ermittlungsversäumnis, welches aufgearbeitet werden muss.“
Zu dem Zeitpunkt, als die Ausspähnotizen des NSU in Zwickau gefunden wurden, sei das HAUS bereits durch ein „großformatiges Namensschild eindeutig von außen erkennbar“ gewesen. Die Polizei wäre also durchaus in der Lage gewesen, diese Verbindung zu ziehen und die Nutzer*innen des HAUS zu informieren oder Ermittlungen anzustellen, wieso der Ort überhaupt auf der Karte des NSU verzeichnet wurde.
Die naheliegende Annahme ist, dass das HAUS tatsächlich als potenzielles Anschlagsziel aufgenommen wurde, weil es sich dabei um ein alternatives Kulturzentrum handelte. Neben Lesungen und Vorträgen fanden dort auch hin und wieder Punk-Konzerte statt. Das habe man dem Gebäude allerdings nicht ansehen können, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Damit erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass die Orte in der Kasseler Nordstadt tatsächlich nur durch die bisher bekannten Akteure des NSU ausgespäht wurden. Auch der Verein Weltsubkulturerbe ist sich sicher:
„Die Identifikation als potenzieller Anschlagsort kann praktisch nur durch ortskundige Recherchen in der Kasseler Nordstadt geschehen sein.“
Das wirft erneut die Frage auf, welche Personen in Kassel dem NSU zugearbeitet haben. Schließlich ist auch bis heute unklar, warum das Internetcafé der Yozgats ausgewählt wurde und was sich dort tatsächlich abspielte. Die Aufklärung scheitert nicht zuletzt auch daran, dass mit Andreas Temme, eine der wenigen Personen, die es wissen könnte, bis heute schweigt.