Prozessende: “Solidarität mit den Betroffenen rechten Terrors!”


Stephan Ernst wurde wegen des Mordes an Walter Lübcke zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, sein mutmaßlicher Helfer Markus H. konnte als freier Mann den Gerichtssaal verlassen. Eine Strafe für den Messerangriff auf Ahmed I. wurde in Frankfurt nicht verhängt. Gegen dieses Urteil und gegen den rechten Terror in Deutschland formierte sich vor Ort und in Kassel Protest.

Über 200 Menschen demonstrierten in Kassel unter dem Motto “Kein Schlussstrich bei der Aufklärung”

Nach 45 Verhandlungstagen hat der 5. Senat des Oberlandesgerichts ein Urteil im Prozess gegen Stephan Ernst und Markus H. gesprochen. Ein Urteil das Wut erzeugt und viele Fragen offen lässt: weder konnte der Ablauf der Tatnacht des Mordes sicher rekonstruiert werden, noch hat der Prozess dazu beigetragen, über die Terrorbestrebungen der Neonaziszene in Nordhessen aufzuklären.

Gefängnis für Stephan Ernst, Bewährung für Markus H.

Im Urteil und in der Urteilsbegründung gegenüber Stephan Ernst dagegen ist das Gericht klar. Bei ihm wird eine “besondere Schwere der Schuld” festgestellt und eine Sicherheitsverwahrung nach den 15 Jahren Haft bleibt vorbehalten. Grundlage dafür bilden das Mordmerkmal der Heimtücke und sein Motiv des Hasses als niederer Beweggrund. Explizit verweist das Gericht hier auf seine “völkisch-nationalistische Gesinnung” als Tatmotiv.

Dies bedeutet jedoch zugleich, dass der Senat bei dem Mord an Walter Lübcke von einer Alleintäterschaft ausgeht. Was sich bereits im Laufe des Prozesses abzeichnete, bestätigt nun das Urteil: es gebe keine ausreichenden Beweise für die Anwesenheit von Markus H. in der Tatnacht und auch seine Beihilfe für Ernst konnte von der Bundesanwaltschaft nicht justiziabel belegt werden.

Markus H. kann trotz psychischer Unterstützung für Ernst, den gemeinsamen Schießtrainings und der Vermittlung von Waffen das Gericht mit einem blauen Auge verlassen. Einzig der unrechtmäßige Besitz einer Deko-Waffe führt zu einer Verurteilung zu 18 Monaten Bewährung. Auf das Urteil reagierte Markus H. mit einem Grinsen.

Messerattacke auf Ahmed I. bleibt unbestraft

Ebenfalls nicht geahndet wurde der Messerangriff auf Ahmed I. im Januar 2016. Auch hier betrachtet das Gericht die vorhandenen Beweismittel, wie die Übereinstimmungen von DNA-Merkmalen auf Ernsts Messer mit der von Ahmed I., nicht als ausreichend für eine Verurteilung. Dagegen legt die Bundesanwaltschaft Revision ein. Das Urteil vom 28. Januar ist noch nicht rechtskräftig.

Die “Initiative 6. April” setzt sich für die Aufklärung des “NSU-Komplexes” und rassistischer Anschläge ein

Für Ahmed I. gibt es keine Gerechtigkeit durch dieses Gerichtsverfahren. In einer Stellungnahme fragt er wie es möglich sei, dass vor Gericht so wenig Interesse an ihm und der Aufklärung des Messerangriffs bestanden hat. Die Fragen müssten beantwortet werden, damit er wieder Ruhe finden kann: “Ich werde jeden Tag daran erinnert, was vor fünf Jahren am 6. Januar 2016 passiert ist. Wenn ich nicht zu meinem Recht komme, dann ist das etwas, das mein Leben beeinflusst.”

Proteste in Frankfurt und Kassel

Seine Stellungnahme wurde am Donnerstag bei der Kundgebung in Kassel verlesen. Dort hatte das “Bündnis gegen Rechts” zu einer Versammlung vor dem Rathaus aufgerufen, bei der sich über 200 Menschen mit ihm und anderen Betroffenen rechter Gewalt solidarisierten. In den Redebeiträgen wurde auf die im “NSU-Komplex” nicht aufgeklärten Neonazinetzwerke vor Ort sowie auf den institutionellen Rassismus der Behörden bei Ermittlungen eingegangen.

“Alle sollen wissen: Es war eine rassistische Tat. Ich bin davon überzeugt und ich zweifle nicht daran, dass es Stephan Ernst war. […] Er ist nicht allein. Es gibt viele Rassisten. Nicht nur Stephan Ernst, viele dieser Rassisten werden nun denken: „Wir haben es geschafft“. Der Freispruch für den Mordversuch gegen mich ist ein Signal an Rassisten und Nazis, dass sie nicht bestraft werden. Stephan Ernst hat es geschafft.

Ahmed I.

Auch Awet Tesfaiesus von der “Initiative Schwarze Menschen in Deutschland” berichtete, dass Opfern rassistischer und rechter Gewalt ihre Erfahrung abgesprochen, ihnen nicht geglaubt und ihnen sogar selbst die Schuld gegeben werde.

Einzeltäter vor Gericht

Tatsächlich ist es ein Problem, dass vor Gericht zwar die individuelle Schuld beweiskräftig festgestellt werden kann, aber eine Aufklärung über den vollständigen Hintergrund und die gesellschaftlichen Ursachen einer Tat von Seiten der Justiz nicht zu erwarten ist.

So blieb auch das Milieu um Stephan Ernst, das ihn in seinen Zielen bekräftige und somit die Grundlage für die Terrorakte legte, im nun beendeten Gerichtsprozess unbehelligt. Aber welche Rolle spielten die TeilnehmerInnen der AfD-Demonstration in Chemitz, die Ernst als “Auslöser” für den Mord bezeichnete, die Arbeitskollegen, mit denen er in der Pause rassistisch hetzte oder der Schützenverein in dem sich alle über “Angela Merkels Flüchtlingspolitik” aufgeregt haben? Anders als beim NSU-Komplex bildete Ernsts alltägliche Lebenswelt den Ausgangspunkt für seine Anschläge, keine rechtsterroristische Zelle im Untergrund.

Das Gericht verurteilte Ernst am Donnerstag als Einzeltäter – und vielleicht ist damit aus juristischer Perspektive schon alles zu rechtem Terror gesagt. Für die zahlreichen DemonstrantInnen in Frankfurt und Kassel nur ein Grund mehr, nicht zu schweigen.

Brandstiftung in Kassel

Jenseits des Prozesses und der Gegenproteste wurde von Sonntag auf Montag anscheinend das Auto des mutmaßlichen Helfers Markus H. zerstört. In einem auf der Plattform “Indymedia” veröffentlichten Schreiben wird sich zu der Brandstiftung am Auto von Markus H. bekannt. Auch die “HNA” berichtete übereinstimmend von einem ausgebrannten Fahrzeug in Kassel-Waldau. In ihrer anonymen Stellungnahme schreiben die Verantwortlichen: “als 2014 viele schutzsuchende menschen nach deutschland fliehen mussten entschied sich markus hartmann auf der seite derer zu stehen die flüchtlingsheime anstecken und ausländer durch die straßen jagen. ob dieser staat ihn schuldig spricht oder nicht spielt für uns keine rolle.”

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