Anlässlich der aktuellen Inflation und Energiepreiskrise organisiert das Bündnis „Nicht auf unserem Rücken“ Infostände für die Aktion „Wesertor gegen Preiserhöhungen“. Für Herbst und Winter sind regelmäßige Anlaufstellen mit warmen Essen und Getränken geplant. Damit wollen sie eine Stadtteilvernetzung aufbauen. Ein Bericht über die Arbeit in der Stadtteilvernetzung und die Situation im Viertel.
Einige Passanten und Passantinnen eilen vorbei, schütteln den Kopf und weisen Flyer von sich. Sie haben keine Zeit oder keine Lust sich mit fremden Menschen auf der Straße über ihre Probleme zu unterhalten, oder denken, ihnen würde etwas verkauft werden. Doch andere bleiben stehen, sind neugierig und lassen sich auf ein Gespräch ein. Viele bejahten sofort die Frage, ob ihnen die Preiserhöhungen bei Lebensmitteln und Energie zu schaffen mache
Über eine Woche hinweg standen fast täglich vier bis fünf junge Menschen am Wesertorplatz und wollten mit ihren Infoständen die Menschen auf der Straße ansprechen. Es geht um die Krise, um Preissteigerung, Inflation und den Versuch, eine gemeinsame Antwort zu finden. Die Mobilisierung stellte sich für die Gruppe als Herausforderung dar, doch sie sind zuversichtlich und sagen: “Wir müssen erstmal ein bisschen bekannt werden und Präsenz zeigen im Viertel.”
Die Fragen sind persönlich: “Wohnen Sie auch im Stadtteil? Haben Sie auch Angst vor den steigenden Gaspreisen? Wie geht es Ihrer Familie?” Eine Bewohnerin des Stadtteils Wesertor erzählt, dass sie diesen Herbst bereits vier verschiedene Erhöhungen bei Miete und Energiekosten bekommen hätte. Bald wüsste sie nicht mehr, wie sie das bezahlen solle. Die Verzweiflung und Ratlosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben. Denn Immobilienfirmen schrecken gerade nicht davor zurück die Kaltmiete zu erhöhen, obwohl die Gaspreise explodieren und die Inflationsrate so hoch ist wie seit 70 Jahren nicht mehr. Die Angst wächst, Miete und Heizkosten bald gar nicht mehr zahlen zu können. Und daraus muss laut den Aktivist*innen Wut werden, die sie zusammenbringt.
In der aktuellen Krise will das Bündnis die betroffenen Menschen dazu ermutigen, gemeinsam aktiv zu werden: “Alleine zuhause sitzen bringt nichts! Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen, wir müssen uns organisieren und uns solidarisch zeigen”, sagt einer der Aktivist*innen. Es gibt unterschiedliche Strategien, die die Stadtteilarbeit ausmachen. Mit Eins zu Eins Gesprächen sollen Menschen aktiv werden, damit sie in Stadtteiltreffen kommen und sich so einbringen.
Sojusz “Nicht auf unserem Rücken” besteht aus unterschiedlichen linken Gruppen aus Kassel. Gegründet hat es sich bereits im Winter 2021, um eine solidarische Antwort auf die Corona Pandemie auf die Straße zu tragen. Auch damals zeichneten sich eine erhöhte Inflation ab, die das Bündnis in seinem Protest thematisierte. Doch es geht nicht nur auf die Straße, sondern grade auch rein ins Warme: In Anbetracht der vermutlich lange kalt bleibenden Privatwohnungen wollen sie diesen Herbst und Winter auch Anlaufstellen für warmes Essen bieten. Es soll ein Ort geschaffen werden zum Austausch, für Gespräche und für kurz oder lang einen beheizten Raum, in dem alle willkommen sind.
“Arme Menschen, die keinerlei Rücklagen haben, werden von der Inflation besonders hart getroffen. Wir können nicht ‘alle den Gürtel enger schnallen’, weil bei vielen von uns einfach nichts mehr da ist. Diese Tatsache, die statistisch belegt ist, wird den Aktivist*innen auch in ihren Gesprächen am Infostand immer wieder bestätigt.”
Aktivistin der Initiative “Wesertor przeciwko podwyżkom cen”
Die aktuelle Kampagne “Wesertor przeciwko podwyżkom cen” setzt ihren Fokus auf den Stadtteil Wesertor, der neben Rothenditmold und der Nordstadt zu den ärmeren Stadtteilen in Kassel zählt. Hier sehen sie die größte Not, denn von der Krise sind nicht alle gleichermaßen betroffen: Sie wollen mit ihrer Aktion die Menschen im Stadtteil Wesertor dazu einladen, sich dabei mit ihren Nachbar*innen über die Situation und damit einhergehenden Probleme auszutauschen. Darüber hinaus soll eine eine Strategie ausgearbeitet werden, wie man gemeinsam politisch auf die Preissteigerungen reagiert. Ob das Bündnis damit erfolgreich ist, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
Zu diesen Themen haben sich in ganz Deutschland Bündnisse, Gruppen und Kampagnen gegründet, wie beispielsweise die Initiative “Solidarischer Herbst“, ein Bündnis aus Gewerkschaften und Umweltorganisationen. To “Umverteilen jetzt” ist ein Bündnis in Berlin, in dem linke Gruppen zur Demo aufrufen oder die Kampagne “Genug ist Genug” erlangte anfangs vor allem mit einer online Strategie in sozialen Netzwerken Aufmerksamkeit . Alle setzen auf unterschiedliche Strategien und Methoden, in der Krise solidarische Strukturen aufzubauen und ihre Forderungen laut werden zu lassen – ob auf Demonstrationen oder in der neu entdeckten Stadtteilarbeit. Hauptsache, die Krise wird „nicht auf unserem Rücken“ ausgetragen.