Das älteste Klinikum in Kassel nun in privater Hand


Dass ein Krankenhaus mitten in einer globalen Pandemie insolvent geht, klingt zunächst nach einem Scherz, ist aber bittere Realität. Im Juni 2021 musste eines der ältesten Krankenhäuser Kassels Insolvenz anmelden. Anfang September diesen Jahres übernahm der Gesundheitskonzern Fresenius die finanziell angeschlagenen DRK-Kliniken, welche in Zukunft als Helios Kliniken weitergeführt werden. Ein Artikel über verpasste Gelegenheiten und die Folgen privatwirtschaftlicher Interessen im Gesundheitswesen.

Ein Gastbeitrag von Mona Jablonski und Antonia Wolf

Die DRK-Kliniken Nordhessen bestehen seit 1875. Sie verteilen sich auf die zwei Standorte in Kassel-Wehlheiden und Kaufungen und beschäftigen laut eigener Aussage rund 900 Mitarbeiter*innen. Sie gehören damit zu den größten Arbeitgebern Kassels. Bereits 2019 musste der ehemals dritte Standort in Bettenhausen aus finanziellen Gründen schließen.

Doch seitdem hat sich die finanzielle Lage kaum entspannt. Jahrelang wurde in den Kliniken um schwarze Zahlen gerungen, die Geschäftsleitung wechselte immer wieder. Schien es zunächst noch so, als könnte die drohende Insolvenz durch einen Investor abgewendet werden, mussten die Klinken nach Unstimmigkeiten zwischen den beiden Trägern, der DRK Schwesternschaft und der DRK Soziale Dienste, sowie der Geschäftsleitung am 25. Juni 2021 Insolvenz anmelden.

Knapp zweieinhalb Monate später erfolgte nun, nachdem die Kliniken vielen Jahrzehnte in der Hand des Wohlfahrtsverbandes waren, die Übernahme durch den privaten Akteur Fresenius. Der Gesundheitskonzern Fresenius ist einer der größten Krankenhausbetreiber Deutschlands und gehört zu den 300 größten börsennotierten Unternehmen weltweit. Teil von Fresenius ist die Helios- Kliniken-Gruppe. Diese hält nun 89 Prozent der Anteile an den DRK-Kliniken Nordhessen. Die übrigen 11 Prozent gehören weiterhin der DRK-Schwesternschaft, die Mitgesellschafterin bleibt.

Welche Auswirkungen diese Übernahme haben wird, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Mit Blick auf die Ausführungen des Bündnisses „Krankenhaus statt Fabrik“ ist jedoch nicht viel Gutes zu erwarten. Nicht nur ist die durchschnittliche Arbeitsbelastung bei privaten Krankenhausträgern nachweislich höher, auch die Bezahlung ist deutlich schlechter als bei freigemeinnützigen oder öffentlichen Krankenhausträgern. Hinzu kommt die sogenannte „Rosinenpickerei“: private Krankenhäuser spezialisieren sich oftmals vor allem auf Bereiche der Gesundheitsversorgung, die besonders lukrativ sind und mit denen sie hohe Gewinne eintreiben können.

Als Ursache dafür kann vor allem das Fallpauschalensystem betrachtet werden, das 2004 Einzug in die deutsche Krankenhauslandschaft erhielt. Dieses System regelt die Abrechnung der Krankenhäuser mit den Krankenkassen. Wurden früher noch alle entstehenden Kosten – sofern wirtschaftlich nachvollziehbar – von den Krankenkassen und der öffentlichen Hand übernommen, folgt die Abrechnung heutzutage über Pauschalbeiträge. Dies ermöglicht den Krankenhäusern, Gewinne zu machen. Sie versuchen ihre Kosten so weit zu senken, dass sie unter den Beiträgen bleiben, die in den Fallpauschalen veranschlagt werden.

Die Auswirkungen davon sind gravierend. Zum einen leiden die Patient*innen- und Gesundheitsversorgung darunter. Denn um Kosten zu senken, werden Patient*innen entweder zu früh entlassen, um Liegezeiten zu reduzieren. Diese Art der Unterversorgung wird auch „blutige Entlassung“ genannt. Oder Patient*innen werden überversorgt, indem Operationen nahegelegt werden, für die eigentlich schonendere Therapien ausreichend wären – diese schonenderen Therapien wären aber betreuungsintensiver, ergo nicht im selben Maße gewinnbringend.

Zum anderen hat dies auch drastische Auswirkungen auf Arbeitsbelastung und -verhältnisse im Krankenhaus. Denn der größte Kostenpunkt im Krankenhaus sind die Personalkosten. Gleichzeitig sind Personalkosten aus Unternehmerperspektive am flexibelsten, das heißt, dass das Einsparungspotential hier am größten ist. Dies kann dann vor allem das Pflege-, Reinigungs- und Service Personal treffen.

Die Folgen davon zeigen sich auch bei den DRK-Klinken Nordhessen. Denn durch die jahrzehntelangen Einsparungen im Personalbereich der Krankenhäuser sind die Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen denkbar schlecht und der Beruf damit äußerst unattraktiv. Wie in verschiedenen Beiträgen der Hessisch- Niedersächsische Zeitung nachzulesen ist, lieferten sich die DRK-Kliniken Nordhessen vor allem letztes Jahr einen beispiellosen Kampf um Pflegekräfte und Krankenhauspersonal mit dem Klinikum Kassel. Die einen versuchten mit Flyern vor dem anderen Krankenhaus Personal abzuwerben, die anderen engagierten gleich eine Agentur aus Berlin, um mit Kreidemarkierungen auf sich aufmerksam zu machen.

“Die Privatisierung wird den Konkurrenzdruck in der Kasseler Krankenhauslandschaft weiter steigern.”

Florian Dallmann, ver.di Geschäftssekretär

All das zeigt, dass – auch wenn die finanzielle Notlage der DRK-Kliniken nun erst mal abgewendet wurde – der Wettbewerbsdruck und der Kampf um das Personal bleiben wird. Dieser Einschätzung folgt auch Florian Dallmann, zuständiger Gewerkschaftssekretär von ver.di. In einem Interview mit der Pressestelle sagte er, dass durch die Privatisierung der Konkurrenzdruck in der Kassler Krankenhauslandschaft weiter erhöht wird. Dadurch steigert sich auch der wirtschaftliche Druck auf die Gesundheit Nordhessen Holding, der Betreiberin des Klinikums und ein Unternehmen von Stadt und Landkreis Kassel. Durch die Übernahme des Heliosverbundes wurde die Chance auf Rekommunalisierung und damit weniger Zwängen zur Profitmaximierung im Kassler Gesundheitswesen verpasst.

Der Kampf um eine bessere und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung ist dennoch nicht verloren. Denn nicht nur die Corona Pandemie hat Bewegung in die deutsche Krankenhauslandschaft gebracht. Auch die Gesundheitsbewegung hat in den letzten Jahren immer mehr an Fahrt aufgenommen. So sind in den vergangenen Wochen nicht nur die Beschäftigten der kommunalen Krankenhäuser Charité und Vivantes in Berlin in den unbefristeten Streik getreten, um einen sogenannten „Tarifvertrag Entlastung“ zu erkämpfen. Im nahe gelegenen Marburg und Gießen kämpfen zivilgesellschaftliche Gruppen gemeinsam mit den Beschäftigten für eine Rückführung des dort privatisierten Uniklinikums in die öffentliche Hand. Auch in Kassel kam es letztes Jahr im Klinikum zu einem Warnstreik für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne.

Für Dallmann bedeutet die Privatisierung der DRK-Kliniken Nordhessen nun vor allem, sich zusammen mit den Beschäftigten weiter für ein gutes Tarifniveau einzusetzen. Diesem wurde auch bei der ersten Demonstration von Beschäftigten in der Geschichte der DRK Kliniken vor den Sommerferien Nachdruck verliehen. Von der Zivilgesellschaft würde er sich allerdings mehr Interesse an dem Geschehen rund um die DRK-Kliniken Nordhessen wünschen. Schließlich geht es nicht nur um die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten, sondern auch um die Gesundheitsversorgung aller in Kassel lebenden Menschen.